Sie tanzt an Fassaden, auf Stühlen, in Tüchern, aufgehängt an Seilen oder in mit Wasser gefüllten Wannen. Dabei dankt sie ihrem Körper täglich für die Strapazen, die dieser mit relativ wenig Training wegsteckt. Tamara Kaufmann aus Balzers sucht neue Herausforderungen. Und sie ist eine Frau mit vielen Talenten.
Tamara, hast du als Mädchen Dirty Dancing geschaut und dir gesagt: «Das will ich auch»?
Tamara Kaufmann: Nein, gar nicht. Ich war 18, als ich mir den Kopf zerbrach, was ich nach der Matura machen soll und stand eines Abends mit einer Freundin im Roxy auf der Tanzfläche, als sie zu mir sagte: «Du, ich werde Profitänzerin.»
Und dann?
Es war, als ob ich vom Blitz getroffen wurde. Mein ganzes Gesicht erhellte sich und ich wusste: «Genau das ist es! Matura hin oder her auch ich werde Tänzerin!»
Wie wurdest du Profitänzerin?
Nach dem Kunstturnen als Kind nahm ich Tanzstunden bei Beatrice Herzog und Jacqueline Beck, die mich dann nach der Matura neben vier anderen Tänzerinnen ein Jahr lang täglich unterrichtet haben als Vorbereitung auf ausländische Tanzschulen. Ich ging nach Amsterdam, aber Jacquelines und Beatrices Unterricht waren Fluch und Segen zugleich: Sie haben uns fast schon zu Profitänzerinnen gemacht. In Amsterdam empfand ich mich unterfordert und nahm aus Frust fürchterlich zu. Überspringen war verboten.
Übergewicht ist suboptimal für eine Tänzerin. Was hast du dann gemacht?
Der Körper ist dein Werkzeug in diesem Beruf, meiner funktionierte nicht mehr richtig, weil die Seele litt. Ich habe die Schule abgebrochen, was mir gar nicht ähnlich sieht, nachdem ich mich unerlaubterweise ohne Abschluss in Belgien beworben hatte und angenommen wurde. Der Company fehlte dann aber das Geld für eine weitere Tänzerin und ich stand vor dem Nichts. Ich schlug mich in Zürich mit 100 Franken mit Hilfe eines Babysitterjobs durch. Mit diesem Hintergrund und zehn Kilos zu viel hatte ich zwar die nötige Disziplin für das tägliche Training, aber keine Aussicht auf Jobs. Jacqueline hatte inzwischen eine Profi-Company in Zürich aufgebaut und fing mich einmal mehr auf. Von da an lief es dann rund. Ich bin Jacqueline heute noch dankbar für alles, was sie für mich getan hat.
Du warst im Benissimo-Ensemble Friends und damit regelmässig im Schweizer Fernsehen zu sehen. Hatte dies Folgen?
Ja. Ab dem Zeitpunkt, wo man mich im Fernsehen gesehen hatte, «war ich plötzlich jemand ». Dabei habe ich vorher und nachher viele Stücke getanzt, die viel bedeutender und tiefsinniger sind und in denen der Tanz eine künstlerische Ausdrucksform ist, um mit dem Körper etwas zu erzählen.
Was war das Besondere bei Auftritten im Fernsehen?
Das war eine pure Glitzer- und Glamourwelt. Ich passte in die Showbranche mit meinem Körperbau und ich liebte auch den schnellen Wechsel, immer etwas Neues. Aber die Fernsehwelt ist auch kurzlebig und eher oberflächlich im Gegensatz zum modernen Ausdruckstanz.
Du hast im Fernsehen, in grossen Musicals, weltweit in der Luft, im Wasser und auf Tüchern getanzt, du singst, choreografierst, bist in Schauspielstücken dabei und führst Regie. Was machst du am liebsten?
Ich finde immer das am spannendsten, was ich gerade mache, lebe darum meist im Hier und Jetzt. Intensiv und interessant war die Eröffnungsshow der Jugendolympiade zu kreieren (EYOF 2015): Ich war für die Idee, Regie, Choreografie, Requisiten, Musik und Musikschnitt zuständig und habe neben meiner Luftakrobaten-Gruppe auch alle anderen Gruppen einstudiert. Das war toll, weil ich alle Genres miteinander zu einem grossen Ganzen verbinden konnte. Alle visuellen, auditiven und emotionalen Sinne können sich vereinen, wenn sie aus einer Hand kommen.
Neben dem eigenen Tanz bildest du auch Profis und Laien aus was zeichnet dich dabei aus?
Die letzten Jahre habe ich mich auf den vertikalen Tanz spezialisiert und mir die Technik der Aufhängungen angeeignet. Ich gebe in Workshops gerne mein Erlerntes weiter. «Geht nicht» gibt es nicht bei mir. Wenn man will, schafft man alles. Die Mentalarbeit ist wunderbar, wenn ich aus anderen etwas herausholen kann, was sie sich selber nicht zugetraut hätten.
Du lebst seit einigen Jahren im Ausland. Wie stehst du zu Liechtenstein?
Ich bin gerade dabei, wieder hierher zu ziehen. Ich liebe das Ländle mit seiner hohen Lebensqualität und seiner Natur, die Menschen sind herzlicher und zufriedener als in vielen Ländern, die ich schon erlebt habe.
Welchen Wert hat für dich..?
Freiheit: Einen fast zu grossen.
Ehrlichkeit: Die Wahrheit ist das Grösste überhaupt.
Sport: Ich liebe den Sport in der Natur.
Geld: Einen fast zu kleinen.
Ernährung: Gesunde Ernährung mit gutem Nährwert finde ich sehr wichtig.
Lebensqualität: Ihretwegen will ich nach Liechtenstein zurück.
Zukunftsmusik
Nach unzähligen Engagements in Musicals, als Showtänzerin, Akrobatin und Schauspielerin verschiebt sich Tamaras Karriere immer weiter hin zur Verschmelzung ihrer Erfahrungen in allen Genres. Eventorganisationen, Inszenierungen und Regiearbeit vom Konzept über Choreographie oder Schauspiel bis hin zum Musikschnitt reizen sie mehr und mehr.
Mehr über Tamara Kaufmann
Tamara Kaufmann wurde am 26. Februar 1971 geboren. Seit Karrierebeginn ist sie mit zahlreichen anderen renommierten Künstlerinnen und Künstlern aufgetreten, darunter Robbie Williams, Christina Aguilera, Joe Cocker, Pink oder Nina Hagen, um nur ein paar wenige zu nennen. 2001 hat sie den Choreografie-Förderpreis der IBK gewonnen, 2013 gewann sie den Josef Gabriel von Rheinberger-Preis für kulturelle Leistungen. Sie ist Tänzerin, Luftakrobatin, Akrobatin, Regisseurin, Choreografin, Artistin, Musicaldarstellerin und entwickelt Gesamtkonzepte. Tamaras Training besteht hauptsächlich aus Sportarten im Freien, die ihr Spass machen wie Radfahren, Snowboarden, Kiten oder Wandern. www.tamarakaufmann.com
Interview: Asha Ospelt-Riederer
Dieser Artikel ist im Liechtenstein-Magazin oho 2015/2016 erschienen.