Wer vom Eschner Berg über den Maurerberg zu den Dolomittürmen der Drei Schwestern wandert, überschreitet in wenigen Stunden Meeressedimente aus Ureuropa und Urafrika. Sie entstanden vor 100 bis 250 Millionen Jahren im Urmittelmeer Tethys. Durch die Kontinentalverschiebung und die Alpenfaltung wurden alle Hauptelemente der damaligen Meeresablagerungen in den Aufbau der Liechtensteiner Berge eingebaut. Weitere, bis zu 500 Millionen Jahre alte Elemente der Erdkruste des Erdaltertums, sind in Liechtenstein als Absplitterungen ebenfalls zu finden. Diese geologische Vielfalt auf so kleinem Raum ist einzigartig in den Alpen. Sie ist die Ursache für die grosse landschaftliche und biologische Vielfalt des Landes.
Wo der geologische Untergrund vielfältig ist, bilden sich unterschiedliche Geländeformen. Das führt zu einer Vielzahl von unterschiedlichen Biotoptypen, die eine entsprechende Menge von verschiedenen Pflanzenarten und Kleinlebewesen beherbergen. Diese ernähren zahlreiche Insektenarten oder bilden eine vielfältige Nahrung für grössere Tierarten. Neben der geologischen und landschaftlichen Vielfältigkeit fördert das milde, wechselhafte Klima und das stark strukturierte Höhenrelief (430 bis 2600 Meter über Meer) die biologische Vielfalt Liechtensteins auf kleinstem Raum. Das Land ist naturkundlich einer der am dichtesten erforschten Landstriche Europas. Unter anderem wurden 410 wildlebende Bienen- und Wespenarten, knapp 1600 Gefässpflanzenarten, 136 Brutvogelarten und 70 Säugetierarten nachgewiesen.
Die Vielfalt ist zum Beispiel bei einer Wanderung über den Eschnerberg zu bewundern. Der Eichen-Föhren-Mischwald hier ist einer der ältesten Waldtypen in Liechtenstein. Es handelt sich grösstenteils um trockene, flachgründige Waldstandorte, die vor allem wärmeliebende Pflanzen beherbergen. Seine Besonderheit liegt darin, dass die Baumkronen viel Licht auf den Boden durchlassen und sich so eine vielfältige Kraut- und Strauchvegetation entwickeln kann. Die geringe Wuchskraft macht diese Wälder für die Holzproduktion uninteressant. Dafür stehen bei der Bewirtschaftung dieses Waldtyps vor allem Naturschutzaspekte im Vordergrund. Charakterpflanzen sind die Eibe und die Stechpalme oder die Pimpernuss, eine wärmeliebende Strauchart, die in Liechtenstein nur am Eschner Berg vorkommt und unter Naturschutz steht. Der Name stammt von ihren Fruchtkapseln, in denen nach der Reife zwei bis drei erbsengrosse Nüsse klappern. Der Gantenstein, einer der beliebtesten Wanderwege am östlichen Rand des Eschner Bergs, beherbergt zudem besonders seltene Gefässpflanzen-Arten wie die Knöllchentragende Zahnwurz. Der Echte Fichtenspargel ist eine parasitisch lebende Pflanze unter Fichten. Statt Blättern trägt sie Schuppen am Stengel, da sie als Parasit kein Blattgrün benötigt. Der Flurname «Gantenstein» stammt vom Wort Ganda ab, welches alemannischen Ursprungs ist und Steinhaufen oder Geröllhalde bedeutet.
Ein riesiger Gesteinsblock mitten im Wald zeugt von der Zeit der Eiszeitgletscher. Es handelt sich um einen «Hellglimmergneis» der rund 15 Tonnen wiegt und der grösste bekannte Findling des Landes ist. Er muss wie viele andere Gneis- und Granitfindlinge in Graubünden auf einen Gletscher gefallen und mit dem sich bewegenden Eis in unser Gebiet transportiert worden sein. Nach dem Abschmelzen der Gletscher blieb er hier vor rund 14000 Jahren liegen. Solche «erratische Blöcke» geben wichtige Hinweise auf das Herkunftsgebiet und die Fliesswege der Gletscher. Rund eintausend Meter hoch überdeckte der Eiszeitgletscher den Eschner Berg und hinterliess hier seine Spuren. So am Kirchhügel bei Bendern, wo er den Kalkfelsen, eine Gesteinsabfolge der Aubrig-Knollenschichten, gut sichtbar in Fliessrichtung abgeschliffen hat. Von hier aus wird ein traumhafter Blick Richtung Süden auf das Rheintal frei, das in seiner Ausdehnung und mit den hohen umrandenden Bergketten eines der einzigartigsten Quertäler des Alpenbogens bildet. Vor rund 10000 Jahren hatte sich der Gletscher bis an den südlichsten Rand Liechtensteins zurückgezogen. Er hinterliess eine Sumpf- und Seelandschaft. Der Bodensee war mit dem Walensee und dem Zürichsee verbunden. Hangrutschungen, Moränenablagerungen und die Geschiebefrachten des Rheins füllten den See allmählich auf und ebneten den heutigen Talboden aus. Der Felsuntergrund des Tals liegt etwa 450 bis 500 Meter unter der heutigen Taloberfläche, wie Bodenbohrungen im Rheintal gezeigt haben.
Drei Reste des Rheintalsees blieben übrig und verlandeten mit der Zeit zu Flachmooren. Sie befinden sich rund um den Eschnerberg im Ruggeller, im Maurer und im Schaaner Riet. 1978 stellte die Regierung des Fürstentums dort eine Fläche von 94 Hektaren des Ruggeller Rietes unter Naturschutz. Es ist das grösste von insgesamt zehn liechtensteinischen Naturschutzgebieten. Das Flachmoor mit seinen über 400 Pflanzenarten weist eine maximale Torfmächtigkeit von rund neun Metern auf. Die offenen Pfeifengraswiesen und Kopfbinsenrieder beherbergen seltene Pflanzenarten wie Wohlriechender Lauch, Kammfarn, Sumpfgladiole und die Sibirische Schwertlilie. Die Geschichte und die natürlichen Besonderheiten des Naturschutzgebietes liegen in einer Naturmonographie zusammengefasst vor.
In einer Talmulde des Eschnerberg liegt das «Rietle». In prähistorischer Zeit war hier ein See. Den früheren Siedlern (seit 4500 v. Chr.) und den Bewohnern der nahe liegenden «Oberen Burg» diente er vermutlich für die Wasserversorgung. In den letzten Jahrhunderten verlandete das Seelein und wird heute als Landwirtschaftsfläche genutzt. Schwertlilie, Trollblume und Igelkolben sind Pflanzenarten, die auf den ehemaligen See hinweisen. Das «Rietle» wurde nie von einem Bach durchflossen und damit die Bodenablagerungen auch nicht von Überschwemmungen beeinflusst. Die ungestörte Verlandung hat Zeugen früherer Vegetationsepochen konserviert. Pflanzenpollen, die 1995 aus Bodenbohrungen gewonnen wurden, zeigen in einer Tiefe von zehn bis acht Metern eine Lehmschicht, auf der eine bewaldete Landschaft mit Kiefer, Birke und Hasel stand. Zwischen acht und sieben Metern Tiefe wurde Torf mit Pollen von Ulmen und Linden gefunden. Ein Röhricht mit Erlenwald auf sechs Metern Tiefe zeigt, dass der Wald damals gerodet wurde. 4000 Jahre alte Getreidekörner belegen die damalige ackerbauliche Tätigkeit.
Entlang des neugestalteten und mit Informationstafeln versehenen «Historischen Höhenwegs » entdecken Wanderer die typische Natur des Liechtensteiner Talraums und erhalten in allen Himmelsrichtungen Ausblick auf die Rheintallandschaft. Zahlreiche historische Objekte zeugen von der menschlichen Besiedelung des Gebietes seit rund 4500 Jahren.
Text: Michael Fasel
Dieser Artikel ist im Liechtenstein-Magazin oho 2014/2015 erschienen.